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„Revolutionen werden nicht an einem Tag gemacht“

Der Protest in Taipeh geht in die zweite Woche. Am Dienstag vor einer Woche, dem 18. März, drang eine Gruppe von Aktivisten in den legislativen Yuan, das Parlament, Taiwans ein und verbarrikadiert sich nun schon seit einer Woche im Parlamentssaal. Unterstützt wird ihr Engagement dabei von Protestierenden, die die Straßen rund um das Gebäude besetzen.

Einer der größten Wünsche der Protestierenden ist, dass ihr Kampf für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie international Aufmerksamkeit und Unterstützung bekommt, um sich gegen die Dominanz Chinas behaupten zu können (auch unter dem Gesichtspunkt, dass nicht nur China Taiwans Unabhängigkeit nicht anerkennt, sondern auch kaum ein Land direkte diplomatische Beziehungen mit Taiwan unterhält).

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(Nationale) Medien sind vor Ort sehr präsent – aber sie berichten nicht unbedingt im Sinne der Protests

Seit es in der Nacht von Sonntag (23. März) auf Montag (24. März) zu für diesen Protest ungewöhnlich starken Gewaltausschreitungen kam, wird international aus Taipeh berichtet. Ich freute mich, das festzustellen und wurde enttäuscht, als ich die Artikel in die Finger bekam. Die Artikel – zumeist von den China-Korrespondenten geschrieben – listen Fakten auf, aber sie schaffen es nicht, die Besonderheit des Protests hervorzuheben: den friedlichen, vereinten Einsatz für Rechtlichkeit, Rechte und Gleichberechtigung, der meiner Ansicht nach die Sonnenblumenrevolution so besonders macht. In Taipeh, so entsteht der Eindruck, sind wieder einige Rebellen in einer Reihe querdenkender Studierender weltweit auf den Straßen und – wie überall – versucht die Polizei dem Einhalt zu gebieten. Drama macht sich gut in Überschriften und Blut verkauft.

Es war Sonntagnacht zu einer Eskalation bekommen, da einige Protestierenden über die Ignoranz der Regierung frustriert waren und versucht hatten, ein zweites Regierunggebäude, den Exekutiven Yuan, zu besetzen. „Ich verstehe einfach nicht, wie die uns immer noch ignorieren können!“, erzählt mir ein Student, der vor Enttäuschung Tränen in den Augen hat. „Wir haben Ihnen viel Zeit gelassen, auf unsere Fragen zu antworten. Ich finde es berechtigt, dass wir versucht haben, auch ein zweites Gebäude zu besetzen.“

Da bei diesem Event allerdings die Polizei zahlenmäßig überlegen war, gingen diesmal die Protestierenden als Verlierer hervor. Die Nacht endete mit mehreren Verhaftungen und etwas mehr als 100 leicht Verletzten.

Mich interessiert die Atmosphäre vor Ort, vor allem nachdem die Medien Schreckensnachrichten verbreiteten. Im Internet findet sich ein geteiltes Stimmungsbild. Einige argumentieren, die Polizei hätte vor allem mit dem Einsatz von Wasserwerfern überreagiert, andere verteidigen die Beamten. Sie hätten nur auf eine illegale Handlung reagiert. Woraufhin angebracht wird, dass die Protestierenden auch nur auf die illegale Handlung der Regierung reagiert hätten.

Im Konsens zeigt sich jedoch die Meinung, dass alle der Revolutionsführung folgen müssen, um mit vereinter Ausdauer ans Ziel zu kommen.

 Vor dem Parlament sitzen weitaus weniger Menschen als in den letzten Tagen, aber noch immer genug, um Eindruck zu schinden. An den äußeren Enden sitzen kleinere und größere Gruppen beisammen. Es handelt sich hierbei um Expert*innen, die gemeinsam mit Studierenden verschiedene Aspekte des Protests diskutieren, um darüber wissenschaftlich fundierte Essays veröffentlichen zu können. Ich unterhalte mich für kurze Zeit mit einem Professor, der mit einer Gruppe von Master-Studierenden aus Taiwan und China die geschichtliche Seite, die seiner Meinung nach in der Diskussion nicht genug Beachtung findet, betrachtet. „China und Taiwan hatten noch nie ein gleichberechtigtes Verhältnis. Die Beziehungen werden langsam besser – und jetzt so etwas? Das geht nicht mit rechten Dingen zu.“

Etwas weiter sitzt ein Professor aus dem Westen des Landes mit einer Gruppe von sieben Studentinnen. Er erzählt, dass er seinen Unterricht hierher verlegt habe. „Gerade jetzt, wo der Protest schon lange dauert, ist es wichtig, dass wir dabei bleiben.“ Seine Studentinnen studieren im Department of Social Studies. „Sie können bei diesem Protest viel mehr als von Theorien lernen“, erklärt er. „Über Politik, über Solidarität und darüber, wie wichtig Zivilcourage und der Kampf für Rechtlichkeit ist.“download-2

„Ich bin hier, weil es ein sehr wichtiger Moment ist, um für meine Zukunft zu kämpfen“, erklärt eine andere Studentin, die vor dem Parlament in einem Berg von Schlafsäcken sitzt. „China ist kein gutes Land und ich lasse mir nicht meine Zukunft ruinieren.“ Sie hat tiefe Augenringe, aber spricht energisch. Eine Freundin fügt hinzu, dass sie nicht pauschalisieren dürfe – das chinesische Volk tappe wahrscheinlich genauso im Dunkeln wie sie. Auch sie ist eine der vielen, die hier ist, um gegen undemokratisches Unrecht vorzugehen. „Natürlich für unser Land und unsere Leute, aber vor allem auch, weil wir eine demokratische Welt brauchen und wir können nicht erwarten, dass das von selbst passiert.“

Ein Freiwilliger kommt vorbei und bringt Mittagessen, sie nehmen es dankbar an und reichen einem anderen ihren Müll, der ihn versorgt.

Ohne das Engagement der vielen Freiwilligen, würde der Protest nicht funktionieren
Ohne das Engagement der vielen Freiwilligen, würde der Protest nicht funktionieren

Es ist ein schöner Tag heute, die Sonne scheint und die Atmosphäre ist entspannt und locker. Junge Männer reihen sich hinter den Mikrophonen, um kürze oder längere Reden zu halten und das Publikum klatscht, johlt manchmal. Einige Freiwillige bringen Arme voller Sonnenblumen und verteilen sie unter den Sitzenden, wo sie bunt hervor strahlen und die friedliche Stimmung fröhlich untermalen.

„Ich bin eigentlich nur hergekommen, weil ich nicht glauben konnte, was in den Zeitungen stand“, erklärt ein Student aus Taipeh, der seine lange Sonnenblume wie ein Schwert in die Luft hält. „Und das war gut, denn es ist nicht gefährlich und vor allem nicht überflüssig.“ Er versuche seit Tagen, seine Freunde dazu zu überreden, mitzukommen, doch sie wären zu regierungstreu und glaubten, was der Präsident nicht wichtig findet, sei nicht wichtig. Ja, das mache ihn ärgerlich, aber er könne sie nicht zwingen – immerhin ist er hier, weil er neben vielem anderen für Entscheidungsfreiheit kämpfe. Eine junge Frau neben ihm dreht sich zu uns um. „Ich bin am Montag gekommen“, erzählt sie. „Ich habe viel in den Zeitungen gelesen und dachte mir, dass sich davon bestimmt viele abschrecken lassen. Also wollte ich die Protestierenden unterstützen, auch wenn ich Angst hatte. Manchmal muss man seine Angst überwinden.“

„Ich hatte auch Angst“, gibt ein Freund zu. „Aber sobald ich hier angekommen war, habe ich mich wohl gefühlt. Jetzt bin ich nur noch über unsere Regierung und die Medien enttäuscht.“

Zwei Freundinnen sitzen unter einem großen Schirm, um sich vor der Sonne zu schützen. Sie schimpfen darüber, dass die Politik von alten Menschen gemacht würde, die sich nicht darum kümmerten, was die junge Generation möchte oder brauche. „Wir sind nichts weiter als unartige Kinder für die“, sagt eine der beiden. Ich frage nach ihrer persönlichen Einschätzung des Handelsabkommens. „Unser Präsident verkauft unser Land“, sagte die eine bestimmt. Ihre Freundin nickt. „Hier wird immerzu über die ökonomische Seite des Abkommens diskutiert, weil unsere Wirtschaft so schlecht ist. In den Zeitungen steht, wir protestieren nur gegen das Abkommen. Aber das ist nur kurzfristig. Langfristig geht es um die politische Seite. Und wir sind hier, um langfristig zu denken, denn es ist unsere Zukunft und unsere Welt.“

Der Tag fließt dahin, die Sonne scheint, die Redner wechseln sich ab, im Schatten des Gebäudes malt eine Gruppe kreativer Studierender Karikaturen, Parolen und Bilder, die die Wände und Zäune rundum dekorieren. Es passiert nicht viel, die Reporterteams wischen sich den Schweiß von der Stirn und schauen in die Leere. Es sind taiwanesische Medien. „Die suchen mehr Material, dass sie gegen uns verwenden können“, meint ein Student grimmig und flucht über die Regierung. Er sei seit Mittwoch dabei und sitze hier, nur am Wochenende habe er eine Pause vom Protestieren genommen. „Ich dachte mir, dass am Wochenende sowieso genug Menschen hier seien und wollte meine Energie zusammen halten für jetzt.“

Wie lange er bleiben würde, frage ich. Er zuckt mit den Schultern und sieht wütend aus. „Ich weiß nicht, wie lange die uns noch hinhalten wollen. Aber ich bleibe. Revolutionen werden nicht an einem Tag gemacht.“

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