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Warum die EU wunderbar ist: Drei Gründer für Feminist*innen

Gerade wenn es an den Kern der europäischen Werte und Moral geht, ist die Europäische Union häufig berechtigter Kritik ausgesetzt. Besonders deutlich wird das in der Diskussion um die Abschottungspolitik der Union. Wie aber steht es um Frauenrechte und Gleichberechtigung in der EU?

Schaut man auf die Zahlen, dann zeigt sich ein ernüchterndes Bild: Im Europaparlament sind 36.1% weibliche Abgeordnete (das sind immerhin 5.2% mehr als im deutschen Bundestag) und von 28 Kommissar:innen sind nur acht weiblich. Im Zuge der #MeToo-Debatte wurde bekannt, dass auch im Europaparlament – wie überall wo Machtgefälle ihm Spiel sind – Sexismus und sexuelle Übergriffe gegenüber weiblichen Abgeordneten oder Mitarbeiterinnen an der Tagesordnung sind (was auf dem Blog #MeTooEP gesammelt wird).

Dennoch hat die EU für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Europa unglaublich viel getan – zu danken ist hier insbesondere auch den Vertreter:innen aus skandinavischen Ländern, die immer wieder Genderthemen auf die Agenda setzten.

Bereits 1957 wurde – auf dem Blatt – festgelegt, dass Männer und Frauen gleiches Geld für gleiche Arbeit bekommen sollen. 1976 wurde dann eine allgemeine Gleichbehandlungsrichtlinie erlassen. Damit wurde der Weg für viele Gerichtsurteile und Richtlinien bereitet, die Schritt für Schritt mehr Gleichberechtigung in das Leben der Europäer:innen brachten. Die wichtigsten Gleichbehandlungsgesetze in Deutschland wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus dem Jahr 2006 wurden in dieser Form erst als Reaktion auf Europäische Richtlinien erlassen.

Beschlossene Sache

Der Europäische Gerichtshof hat eine ganz besondere Rolle, wenn es um Gleichstellung geht. Basierend auf der Gleichbehandlungsrichtlinie wurden viele wegweisende Urteile im Sinne der anklagenden Frauen entschieden, die dann als Präzedenzfall Auslöser für Gesetzesänderungen wurden.

Der Europäische Gerichtshof ist eine großartige Institution, vielleicht meine Lieblingsinstitution in der EU. Meine innige Zuneigung zum Europäischen Gerichtshof begann in meinem Bachelorstudium an der Uni Chemnitz, im ersten Semester bei einem wunderbaren Rechtsprofessor, der seine Vorlesungen steht’s mit einem Kapitel von „Peter Rabbit“ beendete. Dank ihm habe ich das EU-Recht lieben gelernt und ich wünsche allen Europawissenschaftler:innen ein solches Erlebnis, denn das EU-Recht ist wirklich faszinierend. In meinem allerersten Semester machte er uns also deutlich wie wichtig der Europäische Gerichtshof als Motor für progressive Europäische Politik ist. Im Bezug auf Gleichstellung gab es das erste ausschlaggebende Urteil im Jahr 1976, bei dem eine Flugbegleiterin mit dem Namen Defrenne gegen ihren Arbeitgeber (eine belgische Airline) klagte, da als Frau ihr Arbeitsvertrag automatisch im Alter von 40 Jahren endete und gewann die Klage wegen offensichtlicher Lohndiskriminierung. Das s.g. Bilka-Urteil befasste sich mit dem Umstand, dass Teilzeitbeschäftige eines Supermarkets von der betrieblichen Altersvorsorge ausgeschlossen wurden. Dieser Ausschluss – der deutlich mehr Frauen als Männer betraf – wurde als nicht rechtmäßig und diskriminierend eingestuft. Vielen Menschen in der EU ist nicht bewusst, welchen Einfluss der Europäische Gerichtshof hat. Von daher ist es gut, das EU-Recht zu kennen, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Die Chancen stehen gar nicht schlecht, dass bei einer Klage ein Urteil im Sinne der Gleichberechtigung gefällt wird.

Das Private ist Ländersache

2015 wurde die „Pille danach“ nach einer Entscheidung der EU-Kommission EU-weit rezeptfrei zugelassen (jedenfalls theoretisch, oft sieht es in den Ländern anders aus – aber man könnte ja mit einer Klage vor den Gerichtshof gehen). Viele Feminist:innen (ich auch) erhoffen sich von der EU europaweite Regulierungen z.B. im Bereich Abtreibung oder auch im Bezug auf häusliche Gewalt.

Frauenrechtlich ist das Jahr 2018 – auf jeden Fall in Polen – nicht gut losgelassen. Die Regierung veränderte den Strafbestand zur häuslichen Gewalt und strich in der gesetzlichen Definition häuslicher Gewalt unter anderem das Wort „einmalig“. Ein Schlag allein ist kein Verbrechen? Darüber hinaus wurde das s.g. „Blue Card Verfahren“ eingeführt, das gesetzlich vorschreibt, dass eine Familie, bei der Verdacht oder Wissen über häusliche Gewalt besteht nur polizeilich betreut werden kann, wenn das Opfer dazu die Einwilligung gibt – wenn das Opfer dem aber widerspricht, dann ist der Fall geschlossen. Das schützt Opfer nicht, sondern setzt sie noch weiter unter Druck. Diese Erlässe wurden nach landesweitem Protest inzwischen zum Glück zurück genommen, doch was, wenn das nicht passiert wäre? Kann die EU da nichts machen? Die Antwort ist ernüchternd: bisher kaum. Denn die Mitgliedsstaaten der EU lassen sich nur ungern in Familienangelegenheiten hineinreden. Das Private ist nicht europapolitisch, sollte es aber sein – und genug Diskussionen dazu gibt es in Brüssel. Das gilt übrigens auch im Bereich der Gleichstellung von LGBT+, denen in vielen EU-Staaten rechtliche Gleichstellung verwehrt wird. Ich persönlich setze großen Optimismus in die Kapazitäten der EU, denn es zeigt sich immer wieder, dass die EU Feminismus und Gender Mainstreaming groß schreibt – verhindert wird progressive Politik von nationalen Vertreter:innen in Brüssel. Bis es so weit ist, dass auch das „soft law“ in Brüssel geschrieben wird, unterstützt die EU Organisationen und Einrichtungen finanziell. Darüber hinaus erlauben die vertieften Strukturen und offene Grenzen in Europa eine engere Zusammenarbeit zwischen Aktivist:innen. Feminists Unite, lautet die Devise!

 Vätersache

Derzeit arbeitet die EU an der so genannten „Work-Life-Directive“. Zunächst hatte die Kommission eine Mutterschaftsrichtlinie vorgestellt, diese dann aber zurückgezogen. Stattdessen wird jetzt eine Richtlinie ausgearbeitet, die es u.a. EU-weit Eltern erlauben soll je 4 Monate Elternzeit (Bezahlung mindestens wie im Krankheitsfall) zu nehmen. Dies soll dazu animieren, dass sich Mütter und Väter die Elternzeit in den ersten Monaten des Kindes teilen und Mütter nicht strukturell vom Arbeitsmarkt gedrängt werden können.

Als ich von dieser Richtlinie gehört habe, war ich begeistert. Ich bin immer begeistert, wenn europaweite Sozialgesetze diskutiert (und dann idealerweise) verabschiedet werden. Sowohl für Deutschland als auch (das mag überraschend klingen) für Polen sind diese Elternzeitregelungen nicht besonders außergewöhnlich, denn in beiden Ländern haben Eltern bereits die Möglichkeit, sich die bezahlte Elternzeit zu teilen. Vor allem in Polen wird dieses Angebot jedoch von Vätern kaum genutzt. Ich hoffe, dass eine EU-weite Regulierung das Thema präsenter macht und es gelingt, Erziehung auch mehr Kindersache werden zu lassen.

Aus feministischer Perspektive gibt es unzählige Gründe, die EU zu preisen – es mangelt jedoch vielerorts noch an der tatsächlichen Umsetzung vor Ort. Die Verantwortung hierfür liegt aber nicht bei den Institutionen in Brüssel, sondern den oft konservativen Werten nationaler Politiker:innen. In den Köpfen der Europäer:innen und in den Köpfen nationaler Politiker:innen muss noch viel passieren, damit die ambitionierten Ideen und Forderungen der EU sich in unserem Alltag wiederspiegeln.

Mehr zum Thema gibt’s auf: https://www.womenlobby.org/?lang=en

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1 Kommentar

  1. […] besonders gut. Ganz anders sieht es dahingegen aus mit Sozialpolitik (dazu habe ich auch HIER schon einmal etwas geschrieben) oder mit gemeinsamer Außenpolitik. Vor allem beim Thema […]

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