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Wie ich in Kampot (Kambodscha) das Faulsein lernte

Ich hatte mir viel vorgenommen für meine Rucksackreise ins aufregende, unbekannte und dadurch geheimnisvolle Südostasien. Ich hatte einen Monat Zeit, viele Ziele, aber keinen Plan und eine fantastische Vorstellung davon, in einer Hängematte am Strand zu liegen und aus einer Kokosnuss zu trinken. Schnell stellte ich fest, dass man sich, wenn einem nur knapp vier Wochen zur Verfügung stehen, entscheiden muss. Entweder man lässt sich treiben und entspannt oder man schafft es, tatsächlich Dinge zu sehen. Ich entschloss mich schnell für letzteres und powerte knapp drei Wochen durch Vietnam, von Ho Chi Minh City durch das malerische Zentralgebirge nach Da Nang und über das historisch anmutende Hoi An an der Küste entlang zurück in den Süden. Ich unternahm einen Schlenker ins Mekong Delta und fuhr von Ho Chi Minh Stadt aus nach Kambodscha. Drei Wochen hatte ich nicht länger als zwei Nächte in einem Bett, an einem Ort geschlafen und als ich in einem Bus ohne Klimaanlage auf den Plastiksitzen klebte, während wir mehrere Stunden auf kaputten staubigen Straßen durch tropische Hitze ruckelte, spürte ich, dass mir die zurückgelegte Strecke und vor allem eine 27-stündige Busfahrt nur einige Tage zuvor noch in allen Knochen steckte. Glücklicherweise war es unkompliziert, die Grenze zu überqueren, ich musste nicht einmal meinen Antrag auf ein Visum alleine ausfüllen und ich hielt mich mit frischem Obst bei Laune. Nach einer Reise von knapp 12 Stunden (ich hatte vorher gewusst, dass es keine gute Idee ist, während des Chinesischen Neujahrs spontane Reisen zu veranstalten, aber es dennoch verplant, alles etwas besser zu organisieren) kam ich an meinem Ziel an. Ich hatte mir für die verbleibenden zehn Tage überlegt, drei Nächte im angeblich idyllischen Flussstädtchen „Kampot“ zu relaxen, um dann für die Tempelanlagen von Angkor Wat nach Siem Reap zu fahren und auf dem Rückweg nach Ho Chi Minh Stadt einen Zwischenstopp in Phnom Penh einzulegen.

Als ich in Kampot ankam, war es bereits dunkel und die Straße um mich herum wie leer gefegt, nur einige Tuc-Tuc-Fahrer dösten auf ihren Motorrädern am Straßenrand und aus einigen Restaurants schallten Musik und Stimmengewirr. Der Tuc-Tuc-Fahrer, der mich überfiel, sobald ich aus dem stickigen Bus kletterte, wusste, wo ich hinmusste und wir fuhren in völliger Dunkelheit über erstaunlich ebene Asphaltstraßen am Fluss entlang. Mir klebten meine Klamotten am Körper, wenngleich es sich in der Dämmerung etwas abgekühlt hatte und mir die Hitze nicht mehr auf die Lunge drückte. Aber genug des Gejammers, denn ich war auf dem Weg in die Perfektion.

Die meisten Backpacker, denen ich auf meiner Reise in Vietnam begegnet war, waren nicht in Kampot gewesen; hatten nicht einmal davon gehört und empfohlen mir stattdessen, nach Sihanoukville weiter westlich zu fahren. Dort würden mich tolle Strände, klasse Partys und ein hippes Musikfestival erwarten. Das war genau, wonach mir der Sinn nicht stand und ich hoffte, in Kampot nicht ununterbrochen von partywütenden Backpackern umgeben zu sein.

Mein Gefühl, als ich unter einem klaren Sternenhimmel (wie fantastisch, einmal in einer sternenklaren Nacht von Dunkelheit umgeben zu sein) durch Kampot fuhr, war gut. Als ich bei meinem Gasthaus ankam, wusste ich, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich wurde von einem Schild begrüßt, auf dem im Licht kleiner Lämpchen „Chill Out“ zu lesen war und ein kleiner, sandiger Pfad führte von der Straße durch einen wilden Garten zu einem alten, etwas baufälligen Gebäude in dessen halb zerfallene Treppe und Balkon sich Bäume mit pinken Blüten gefressen hatten. Der ganze Weg war von Lichterketten, die in die Bäume gewunden waren, erleuchtet; ebenso die Bar, an der ich abgesetzt wurde.

Die Bar, an der ich auch jetzt gerade sitze, ist ein hölzerner Anbau an die kleine Villa, der auf den Fluss ragt und von der ein paar Bretterstufen zu einem Bootssteg führen, auf den morgens die Sonne scheint und von wo man in den breiten Fluss springen kann, der leise plätscherte, als ich ankam. Ich wurde freundlich von drei Gestalten begrüßt, die rauchend am Tresen saßen und dem quirligen Barkeeper Geschichten erzählten und neugierig beäugt, als ich meinen Rucksack in den strohbedeckten Pavillon am Flussufer schleppte. Ein süßlich schwerer Geruch waberte durch die Luft und verteilte sich unter dem hohen, spitzen Holzdach.

Ich bekam eine Matratze auf bunt gekacheltem, mit Sand bedecktem Fußboden zugewiesen, über der ein Moskitonetz hing. An meinem Kopfende schlugen seichte Wellen gegen eine Mauer und Palmwedel rieben sich leise aneinander. Irgendein Tier fiepte und ein anderes tschilpte, ein Fisch sprang durch das Wasser. Von der Bar schwappte fröhlich swingende Elektromusik herüber.

Ich saß knapp eine Stunde an der Bar und unterhielt mich mit den anderen Gästen, von denen die meisten irgendwann auf ihren Reisen oder ihrer Wanderung durch das Leben in Kampot hängen geblieben waren, bis ich die Entscheidung fällte, meinen Aufenthalt hier zu verlängern. Ich war müde und hatte vorerst genug entdeckt und erlebt. Vor allem aber fühlte ich mich auf Anhieb wohl und mochte die entspannte, sorglose Atmosphäre, die der Ort ausstrahlte. Es ist eine Woche später und ich sitze noch immer hier, die Gestalten an der Bar sind inzwischen meine Bekannten, mit denen ich in ereignislose Tage hinein und wieder heraus lebe und ich bin von meiner Matratze in einen Gartenpavillon umgezogen, wo ein Gecko unter der Decke lebt, über dessen Gesellschaft ich sehr dankbar bin, seit ich eines Morgens davon wach geworden bin, wie er würgend einen 20-Zentimeter-langen Hundertfüßer verschlang, der sich auf dem Moskitonetz niedergelassen hatte.

In der ersten Nacht schreckte ich immer wieder hoch, weil ein Rudel Hunde den Mond anheulte, weil ein Gecko rief oder weil kleine Echsen fiepten und schnalzten. Morgens holte mich die Sonne aus dem Schlaf und auch wenn es traumhaft ist, von warmem Sonnenlicht geweckt zu werden, das vom Fluss reflektiert durch Palmwedel direkt ins Gesicht fällt, so war ich doch froh, dass ich ab dem zweiten Abend problemlos durchschlief und das wahrscheinlich erste Mal in einem halben Jahr erst nach zehn Uhr morgens aufwachte. In der dritten Nacht fing es plötzlich an zu regnen, das erste Mal in langer Zeit und der Regen prasselte auf das Strohdach des Bungalows und tropfte ein kleines bisschen auf das Bett. Der Regen nahm die Schwüle des Tages, frischte die Luft auf und brachte einen Geruch von noch mehr Unbekannten und von pulsierender Exotik mit sich, der mich auf sonderbare Weise einlullte. Am nächsten Morgen waren die Wolken verzogen und das salzige Wasser des Flusses, der hinter einigen Kurven in den Golf von Thailand mündet, war fantastisch. Auf dem Fluss schippern nur einige Kähne, sodass man sich einfach treiben lassen kann, Augen zu, in der warmen Sonne,  Palmengewächse und einige dieser Bäume mit pinken Blüten am Ufer, eingebettet in ein Bergpanorama. Einen Nachmittag habe ich damit zugebracht unter einer Eisenbahnbrücke, auf der drei Mal täglich ein Güterzug fährt, zu sitzen und die malerische Landschaft auf mich wirken zu lassen, bis die Sonne einen prächtigen Abgang hinlegte. Ich war so in ungläubiger Faszination über die Schönheit gefangen, dass ich mir beide Schultern verbrannte und nun die verbildlichte Definition einer tan line zur Schau trage.

Als ich weitere Nächte in Kampot gebucht hatte, hatte ich dennoch die ganze Zeit noch geplant, mehr vom Land zu sehen. Als ich schweren Herzens schließlich die Entscheidung fällte, einen Bus nach Siem Reap zu buchen, wurde ich krank. Ich war nicht wirklich krank, aber mein Körper sträubte sich mit etwas Fieber, mit etwas Übelkeit und mit einer lähmenden Müdigkeit dagegen, irgendeinen Weg weiter als den vom Gasthaus ins Stadtzentrum zurück zu legen. Außerdem schien das Universum auch gegen die Idee einer Weiterreise zu sein, denn es war unmöglich, Busse zu finden, die einen freien Platz gehabt hätten. Ich überwand das Gefühl, eine schlechte Touristin zu sein. Ich reiste für mich und ich hatte Urlaub, ich hatte alle Freiheit zu tun und vor allem zu lassen, wonach mir der Sinn stand. Der Sinn stand mir danach, nicht groß zu denken, viel zu schlafen, viel zu essen, zu verweilen und zu faulenzen. Mein Körper musste mich dazu zwingen, das will etwas heißen.

Es ist heiß heute und schwüler als an vergangenen Tagen, aber gleichzeitig weht auch ein leichtes Lüftchen, also ist es aushaltbar. Die Zeit fliegt, jedes Mal wenn ich auf die Uhr schaue, bin ich überrascht. Das Licht draußen verändert sich langsam, die Sonne steht tiefer und lässt alle Farben etwas intensiver erscheinen, als sie ohnehin schon sind. In kurzer Zeit wird sie als glühend roter Ball hinter schwarzen Bergkuppen verschwinden und den Fluss erst rot färben und dann der Dunkelheit überlassen. Für mich naht das Ende meines Rückzugs ins Paradies, morgen geht es zurück nach Vietnam von wo aus ich einen Flieger nach Taiwan habe. Ich spiele mit dem Gedanken noch einmal einen Ausflug in den Stadtkern zu unternehmen, aber wahrscheinlich bleibe ich dabei, an der Bar zu sitzen und erst das letzte Funkeln des sonnigen Tages und später das Glitzern der dunklen Nacht zu genießen. Ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal Sterne so klar sehen kann und wann ich umgeben von schillernden Plankton in klarem Wasser schwimmen kann, während um mich herum Stille herrscht, die nur von den unaufregenden Geräuschen der Natur unterbrochen wird.

Ich habe von Kambodscha nicht viel gesehen und für eine kurze Zeit hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen, aber manchmal geht es nicht darum, was man sieht, welche Dinge man auf seiner Checklist abhaken kann und was man erlebt, sondern eben darum, was man nicht tut. Ich bin großartig darin, Dinge zu tun; aber ich muss mich darin üben, manchmal einen Gang runter zu fahren und meine Tage und Nächte zur Abwechslung nur mit schlafen, essen, lachen, Sonne tanken und genießen zu füllen. Und außerdem habe ich so im Laufe meiner Reise alles gehabt, was ich mir nur wünschen konnte: augenöffnendes Abenteuer und Entdeckungstouren in Vietnam und Durchatmen am (Fast-)Strand in Kambodscha.

In dem Gasthaus, in dem ich hier lebe, hat irgendjemand irgendwann einmal eine Lebensweisheit hinterlassen, die ich mir gerne zu Herzen nehme und zum Motto nicht nur dieser Reise, sondern zum Leben im Ganzen nehme: Expect nothing. Appreciate everything.

Und ich werde auf jeden Fall nach Kambodscha zurückkehren. Und beim nächsten Mal werde ich genug Zeit mitbringen. Auch Zeit dafür, das Weltwunder von Angkor Wat zu bewundern.   

Februar 2015

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