Die EU hat für mich viele Vorteile, denn sie macht meinen internationalen Lebensstil sehr viel einfacher und unkomplizierter, ermöglicht mir Dinge, die ohne sie viel schwieriger oder sogar unmöglich wären. Ich bin mir aber auch darüber im Klaren, dass meine Globetrotter-Argumente vielleicht nur bei einer kleinen Minderheit meiner Mitbürger:innen in Europa ziehen. Wenn jemand nur ein paar Wochen im Jahr im EU-Ausland verbringt, dann ist es vielleicht weniger ein Geschenk, als eine Bürde plötzlich kostenfrei roamen zu können: es gibt keinen Grund mehr, nicht jeden Weg von Googlemaps weisen zu lassen und man hängt auch am Hotelpool nur vor dem Handy.
„United in Diversity“ ist der Leitspruch der EU, doch Gegner:innen der EU behaupten gerne, die EU wolle eine homogene, herauf bezwungene Identität schaffen, in der nach und nach Nationalstaaten untergehen. Dass es für kulturelle Homogenisierung keine Mitgliedschaft in einer Union braucht, sollte eigentlich die inflationäre Verbreitung von Starbucksfilialen und anderen Aspekten amerikanischer Kultur sein, aber fundierte Argumente sind ja sowas von gestern.
Interessanterweise ist die EU aber für Heimatliebende ganz besonders großartig – und das schon seit langer Zeit. Viele der Neuerungen, die das Leben für Wandervögel wie mich viel unkomplizierter machen, wurden erst in den letzten paar Jahren in die Realität umgesetzt. Im Gegensatz dazu ist die EU schon seit langem darauf bedacht, das besondere Potential, das sich in den verschiedenen Ecken Europas verbirgt, zu fördern und in Resteuropa bekannt zu machen. Die EU legt einen großen Regionalpatriotismus an den Tag und ist völlig zu Unrecht dafür verpönt, dass sie die europäischen Kulturen und Traditionen zu einem grauen Einheitsbrei vermische.
Und wenn man erst einmal weiß, wie national die Gesetzgebung in der EU eigentlich ist, dann erklärt sich auch, warum Europapolitik Heimatliebende eigentlich sehr glücklich machen sollte.
In allen Ecken soll Entwicklung drin stecken
Der EU ist sehr daran gelegen, dass alle Regionen in Europa stark und wettbewerbsfähig sind. Mit dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE/EU-Regionalfonds) werden vor allem ärmere Regionen gefördert.
2019 ist das Jahr der nächsten Wahl zum Europaparlament und ich bin sehr gespannt auf die vielen spannenden Aktionen, die dafür von engagierten Europäer:innen auf die Beine gestellt werden! Um den Wähler:innen klar zu machen, was die EU bei ihnen vor Ort tatsächlich macht, wurde die Seite https://what-europe-does-for-me.eu online gestellt. Also bin ich direkt mal online gegangen und habe geschaut, was denn die Oldenburger:innen so von der EU haben.
Oldenburg ist ein kleines, gutbürgerliches Paradies im Nordwesten Deutschlands. Doch auch eine gut aufgestellte Stadt wie Oldenburg profitiert finanziell vom EU-Regionalfonds: wie ich erfahren habe, wird unser alter Stadthafen mit Geldern aus der EU aufgemotzt. Wenn auch in geringerem Maß als in strukturschwachen Regionen, profitieren alle Regionen in Europa von dem gemeinsamen EU-Budget, um die schönsten Seiten zum Vorschein zu bringen.
Europa für Feinschmecker:innen
Im Jahr 1992 wurden in der EU eine Verordnung zum „zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel“ erlassen, um besondere Lebensmittel vor Missbrauch (zum Beispiel der Nachahmung) zu schützen. Dabei gibt es ein Siegel für Lebensmittel mit geschützter geographischer Herkunft und mit geschützter Urkunftsbeschreibung.
Die EU nimmt die Vielfalt der Traditionen in Europa sehr ernst und deswegen gibt es zahlreiche Label, die regionale Produkte kennzeichnen. So soll sichergestellt werden, dass kein billiger Abklatsch auf den europäischen Markt kommt. In Deutschland umfasst das Register 90 Produkte aus verschiedenen Kategorien. Wenn das nicht die lokale Produktion und die traditionsreiche Produktvielfalt in Europa fördert, dann weiß ich nicht was!
Show what you got
Erasmus+ heißt das Programm, unter dem alle EU-Mobilitätsprogramme wie Studierenden- oder Schüleraustausche und Freiwilligendienste stehen. Es gibt dabei unter anderem auch zahlreiche Jugendbegegnungen, in denen oft lokale Organisationen finanzielle Unterstützung für europäische Jugendbegegnungen erhalten. Eine andere Art der Begegnung sind Workcamps, in denen es darum geht, heruntergekommene Ecken in gemeinschaftlicher Arbeit wieder aufzupolieren.
Über Erasmus+ schreibe ich ausführlich an anderer Stelle, denn die Mobilitätsprogramme der EU richten sich in erster Linie an junge Menschen in der EU. Ziel dieser Austauschprogramme ist jedoch nicht nur die informelle Begegnung junger Menschen – es hat auch zum Ziel, dass junge Menschen viele verschiedene Ecken Europas von ihren schönsten Seiten kennenlernen oder – wie beispielsweise bei kulturellen Freiwilligendiensten oder Workcamps – (fast verlorene) Traditionen wieder zu beleben. Vor der Europawahl gibt es zahlreiche Aktionen, um Europa vor Ort sichtbar zu machen (www.europamachen.eu).
Es ist ja nichts verkehrt daran, seine Heimat zu lieben und zu schätzen – so lange das damit einher geht, dass man voller Stolz und Freude die schönsten Ecken mit anderen teilt. Europa kann nur dann wirklich in Vielfalt geeint sein, wenn alle mithelfen, unsere vielfältige Kultur mitzugestalten und zu vermitteln. Die, die den Verlust der eigenen Kultur am meisten befürchten, sind mit ihren protektionistischen und verschlossenen Einstellungen oft diejenigen, die eine wirkliche Gefahr zu Vielfalt darstellen und verhindern, dass ihre Traditionen ein Teil der europäischen Realität werden.