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Die Avantgarde der Queerkultur auf dem Vormarsch: Drag in Nordmazedonien

In einem der homophobsten Länder Europas kämpfen vier mutige junge Menschen auf kreative Weise für eine offene Gesellschaft. Ein Interview mit den Drag Queens aus Skopje. 

Im März 2019 wurde das Anti-Diskriminierungsgesetz in Nordmazedonien um einen weiteren Sachbestand erweitert: Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist von nun an gesetzeswidrig. Das ist ein wichtiger Schritt in einem der homophobsten Länder Europas. Als 2010 das Vorgängergesetz verabschiedet wurde, ignorierte die mazedonische Regierung die Warnung der Europäischen Union, dass ein Anti-Diskriminierungsgesetz ohne den rechtlichen Schutz von LGBT+ nicht in Harmonie mit den Europäischen Werten stünde. Die damalige nationalkonservative Regierung scherte sich darum wenig und entfachte stattdessen eine ideologisch aufgeladene, homophobe Debatte um die heteronorme Definition von Partnerschaft und Ehe.

Seit 2017 regiert nun in Nordmazedonien eine neue Regierung, die sich aus sozialem Protest gebildet und sich sozialdemokratischen Werten verschrieben hat. Mit ihrem Amtsantritt machten Vertreter*innen dieser Regierung deutlich, dass sie einen pro-europäischen Weg einschlagen würden und die Integration in sowohl die EU als auch die NATO als höchste Priorität auf die nationale Agenda setzten. Dies spiegelte sich in den vergangenen 2 Jahren vor allem in der außenpolitischen Schwerpunktsetzung und der außergewöhnlichen Kompromissbereitschaft in bilateralen Beziehungen wider; auf radikale innenpolitische Veränderungen warten viele unzufriedene Mazedonier*innen bisher allerdings vergeblich.

Besonders schwer haben es in dem südosteuropäischen Land marginalisierte Gruppen. Die pro-europäischen Ambitionen der Regierung führen zwar dazu, dass auf rechtlich-verschriftlichter Ebene die Repressalien und die Diskriminierung gegenüber Mitgliedern der LGBT+ Gemeinschaft verurteilt werden, doch deren gesellschaftliche Stigmatisierung wird damit nicht beendet. Seit Jahren bewegt sich Nordmazedonien im internationalen Vergleich am unteren Rand, wenn es um Gleichstellung und Anti-Diskriminierung von LGBT+ geht. Mit 14% im ILGA Rainbow score (2018) liegt das Land gefährlich nah an dem Faktor „gross violations of human rights, discrimination“ (0%).

ILGA Rainbow Map 2018 – Source: ILGA Europe

Doch in der Hauptstadt Skopje werden die ständige Verdrängung aus dem öffentlichen Raum, die Stigmatisierung und Diskriminierung nicht kampflos hingenommen. Eine der wenigen Organisationen, die unermüdlich für mehr Akzeptanz und Schutz für Mitglieder der LGBT+ Gemeinschaft arbeitet, ist die Nichtregierungsorganisation Koalicja Margini, die Koalition Sexuelle und gesundheitliche Rechte marginalisierter Gemeinschaften. Seit die Räumlichkeiten der Organisation in der Altstadt 2013 von jungen Hooligans angegriffen und verwüstet wurden, arbeiten die Mitarbeiter*innen nun in einem Mietshaus verborgen etwas außerhalb der Innenstadt. Am Eingang lässt kein Schild darauf schließen, dass hier LGBT+-Aktivist*innen kulturelle Veranstaltungen planen, die Situation marginalisierter Gruppen im Land recherchieren und dokumentieren und die Interessen derer, deren Stimme in dem polarisierten Land am leichtesten untergeht, zu vertreten. Ein Ziel der Organisation ist es, safe spaces zu bieten. Einer dieser sicheren Räume sei, so eine Mitarbeiterin der Koalicja Margini, die im Halbprivaten stattfindende Queerkultur, die sich in Mazedonien – wenn auch abseits der breiten Öffentlichkeit – stetig entwickelt. Hinter verschlossenen Türen, so die Mitarbeiterin, könne sich das kreative Potential der Gemeinschaft entfalten, ohne Gefahr zu laufen, Schikanen oder Gewalt aus der Bevölkerung ausgesetzt zu sein.

Queerer Widerstand gegen die Verdrängung: Drag in Nordmazedonien

Wie alles ist in Nordmazedonien auch die Queerkultur im Umbruch und einen wichtigen Beitrag zu dieser überfälligen Veränderung leisten vier junge Menschen aus Mazedonien und Amerika, die sich und ihre Identität nicht länger verstecken möchten: Die Mitglieder des Haus of Fauché, der ersten Gemeinschaft von Drag Queens in Mazedonien.

Zugespitzt gibt es in Nordmazedonien für Mitgliederder LGBT+- Gemeinschaft zwei Möglichkeiten: im Verborgenen zu leben und damit die eigene Identität zu verstecken oder in den aktiven Widerstand zu gehen. Die Drag Queens des Haus of Fauché haben sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Drag als mächtigste queere Waffe, das verraten sie im Gespräch, scheuen sie nicht einzusetzen, um ihren mazedonischen Mitbürger*innen zu zeigen, dass es auch in diesem Land wie überall eine LGBT+ -Community gibt, die das Recht darauf hat, gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein.

Drag in Mazedonien steckt noch in den Kinderschuhen. Erstmals wurde im Rahmen von jährlichen Festlichkeiten im April 2017 ein  Drag Wettbewerb organisiert, der sich schnell als Bestandteil des queeren kulturellen Angebots etablierte. Ein Auftritt des queeren Künstlers David Hoyle während der Pride Week 2018 und eine siegreiche Erfahrung beim Drag Wettbewerb im selben Jahr, motivierte die junge Drag Queen Tokyo, selbst aus Skopje und damals noch unter dem Namen Katherina the Sinnister auf der Bühne, gemeinsam mit Mitstreiter*innen das Haus of Fauché zu gründen. Seit dem ersten Auftritt im Dezember 2018 schießt die Popularität der Drag Queens in die Höhe.

Queen Kaja: “Bevor ich mich als Schwul geoutet habe, habe ich mich sehr stark als mazedonisch identifiziert. Jetzt bin ich … schwul. Als Schwuler gehe ich gegen alles an, das Mazedonisch ist. Das sind zwei widersprüchliche Dinge. Und wenn ich wählen muss, dann wähle ich schwul.” ©Haus of Fauché, used with permission

Der erste Anlauf, ein solches Drag Kollektiv zu gründen, war das jedoch nicht. Bereits vor 2018 hatten Tokyo und ihre Drag-Schwester Naoki, eine Künstler*in und heute die Mutter des Hauses, mit Unterstützung verschiedener Organisationen und Akteur*innen versucht, Drag in Skopje zu etablieren – ohne Erfolg. Kaja, über ein Research-Stipendium in Nordmazedonien, stieß schließlich über soziale Medien zu ihnen und der lange Atem der drei, jetzt vier Studierenden und Graduates hat sich gelohnt: Bei der zweiten öffentlichen Drag Show in Skopje im Januar 2019 erschienen mehrere hundert Gäste in einem kleinen, kargen Kellerclub, der etwas verborgen in der Ecke eines großen Innenhofes lag. Die ganze Nacht verausgabten sich die Drag Queens auf der Bühne unter den johlenden Zurufen ihres Publikums. „Es war fantastisch“, erinnert sich Naoki. „Die Menschen im Club lebten für unsere Show. Sie konnten sich selbst genießen, sie wurden ermutigt, einfach sie selbst zu sein. Die Leute betranken sich nicht des Betrinkens wegen, sondern weil sie einfach Spaß hatten.“ Bei dem Gedanken an die Show geraten sie ins Schwelgen, überbieten sich aufgeregt mit ihren positiven Erfahrungen – noch heute löse die Erinnerung Gänsehaut bei ihnen aus. Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Auf einem Onlinemedienportal wurde Skopje mit Sodom und Gomorrha gleichgesetzt. Den Drag Queens scheint die Aufmerksamkeit – auch die negative, homophobe – nicht unrecht zu sein. „[Dieses Portal] hat auf Facebook nie so viele Likes und Shares gehabt wie bei diesem Artikel“, erklärt Kaja. „Sie hätten uns wenigstens im Post markieren können.“ Die anderen lachen. Man könne die Veränderung in der Gesellschaft schon spüren, so ihr Fazit.

Aus der Verletzung wächst die Wut

Dabei ist im Gespräch oft genug spürbar, dass den Dreien nicht immer zum Lachen zumute ist. Aus ihren Erfahrungen und Erzählungen sprechen Wut, Trauer und Verletzung, die wohl der Großteil ihrer LGBT+- Peers nachempfinden können. Selbst in Schulbüchern würden homophobe Einstellungen vermittelt, ergab die Recherche einer NGO in Nordmazedonien. Das führt zu einer Atmosphäre, in der junge Menschen ihre sexuelle Orientierung verbergen müssen und nach – oder bereits vor –  ihrem Coming-Out Ausgrenzung und Mobbing zu fürchten haben. Junge LGBT+ erleben in der Schule und außerhalb regelmäßig physische und psychische Gewalt; Häufig genug formulieren selbst hohe Amtsträger*innen homophobe Ansichten. Die Suizidrate junger LGBT+ ist signifikant höher als bei ihren Cis-Peers.

Die Entschlossenheit, mit der die jungen Drag Queens in Skopje ihre Show gestalten, um die mazedonische Gesellschaft zu revolutionieren, sollte daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sie tagtäglich Diskriminierungen und Verleumdungen ausgesetzt sind – und dass bei den meisten von ihnen der große Teil des persönlichen Umfelds nicht weiß, welch ein außergewöhnliches, kunstvolles und mutiges Zweitleben sie auf der Bühne führen. Einige von ihnen konnten sich bisher nicht einmal der eigenen Familie outen – auch das ist nicht unüblich in Mazedonien, wo LGBT+ häufig gezwungen sind, sich in der LGBT+- Gemeinschaft eine neue Familie zu suchen.

In Skopje hat Drag Art viele Gesichter

Die persönlichen Geschichten der Drag Queens könnten dabei nicht unterschiedlicher sein, ebenso ihre Charaktere – auf der Bühne und im alltäglichen Leben. Obwohl das Haus of Fauché nur mit vier Drag Queens aufwarten kann, offenbart sich daher trotzdem eine erstaunlich große Vielfalt auf der Bühne. Es entsteht der Eindruck, dass weitaus mehr als nur vier Künstlerinnen ihre Show darbieten. Das hängt auch damit zusammen, dass ihr eigener Stil von verschiedenen Lebenserfahrungen, Künstler*innen und Weltregionen beeinflusst ist. Kaja ist, als Kind mazedonischer Eltern, in Chicago aufgewachsen, wo sie als junge Student*in ihre Berührungsängste mit allem Queeren ablegen und eine lebendige LGBT Szene kennenlernen konnte. Tokyo hat, wie ihr Name verrät, ihre Inspiration von der japanischen Kultur. Und Naoki tauchte in die Welt des Drag vollends ein, als sie für einen Studienaustausch in Paris der homophoben Enge Nordmazedoniens entfloh und sich die Nächte in schillernden Kostümen und schillernder Gesellschaft um die Ohren schlug. Auf der Bühne in Skopje mögen einige Zuschauer*innen spektakuläre Kostüme und hochgestylte Perücken vermissen, wie sie vor allem von RuPaul’s Drag Race (einer Castingshow, in der seit 2009 Drag Queens in verschiedenen challenges um den Staffeltitel kämpfen) aus den USA bekannt sind. Für die Skopje Queens steht Drag jedoch für mehr als aufwändige (Frauen-)Kostüme. Während für zwei der Drag Queens ihre Bühnengestalt nur eine Erweiterung ihrer alltäglichen Persönlichkeit ist, um noch glamouröser und kunstvoller zu erscheinen, erleben zwei andere einen Schmetterlingsmoment auf der Bühne. Hier können sie aus ihrem Kokon schlüpfen, eine fantastische Maske auflegen, alle Hüllen fallen lassen und sich trauen, was ihnen im Alltag unmöglich ist.

Queen Naoki: „Menschen beschreiben mich oft als Bitch. Ich hatte keine Wahl. Ich musste eine Bitch werden, um zu überleben.“

Im Gespräch mit den Drag Queens wird schnell deutlich, dass es für sie bei der Performance um weitaus mehr geht, als Perücken, Make-Up und Kostüme. Es ginge, so der Konsens, auch nicht darum, aus dem Haus of Fauché ein Business zu machen. Ihr Ziel ist visionär: als die Avantgarde der mazedonischen LGBT+ streben sie es an, die Grenzen des Möglichen zu erweitern, um die starren Ansichten der konservativen mazedonischen Bevölkerung aufzubrechen. Eine Revolution würden sie anzetteln, so Tokio. Das macht das Haus auf Fauché zu einer politischen Institution, ohne sich jedoch in das polarisierte Verständnis des Politischen in Mazedonien einordnen, wo politisch-sein darauf reduziert wird, entweder der Regierungs- oder der Oppositionspartei anzugehören. „Wir sind politisch, weil wir „fuck you“ zu allen sagen. Das ist, wer wir sind und das ist, was wir machen.“ Politisch sein bedeutet für sie, soziale und politische Missstände anzuprangern – da kann auch mal ein Mix Tape mit Verweisen auf die hohe Luftverschmutzung im Hintergrund laufen. Vor allem aber geht es darum, starre Gendernormen aufzubrechen und an die Gegenwart anzupassen. Deutlich wird das zum Beispiel in der Performance von Tokio, die ihren Auftritt als Hausfrau der 50er Jahre mit einem genderkritischen Intro aus dem Off beginnt, nur um dann mit Elementen aus der Burlesque und der gekonnten Verwirrung zwischen lasziver Weiblichkeit und männlicher Körperlichkeit die Grenzen zwischen Gender und Geschlecht verschwimmen zu lassen.  Genau darum gehe es bei Drag: die Kunst, kulturell konstruierte Geschlechter, also Gender, zu vermischen. Naoki bringt es auf den Punkt: „Ich sehe [auf der Bühne] vielleicht aus wie eine Frau, aber kannst du sagen, dass ich eine Frau bin? Wenn ich in Drag bin, dann habe ich kein Gender. Ich möchte keine Frau sein, ich möchte kein Mann sein, ich möchte nur diese wunderschöne Kreatur sein, die nicht in eine Box gesteckt werden muss, um verstanden zu werden.“ Letztendlich geht es ihnen allen beim Drag darum – in den Grenzen des politisch Korrekten – einfach so zu sein und das zu machen, wonach ihnen der Sinn steht. Sie sind es leid, sich, ihre Persönlichkeit und ihre sexuelle Orientierung zu verbergen und wollen auch im Interesse derer kämpfen, die keine Kraft oder keinen Mut haben, für ihr Recht auf ein selbstbestimmtes, kompromissloses Leben zu kämpfen. „Wir haben nur ein Leben“, fasst Naoki zusammen und guckt entschlossen und auch etwas trotzig. „Und wir sollten es nur auf uns selbst verwenden, ohne dabei ständig Zugeständnisse machen zu müssen. Als junger schwuler Mann haben ich und alle anderen das schon zu viel gemacht.“  Eines dieser Zugeständnisse ist, dass das eigene Leben und die eigene Kunst stets im Verborgenen stattfinden muss. Mithilfe der engagierten Organisationen in Skopje soll sich das in diesem Jahr ändern. Erstmalig ist für 2019 eine öffentliche Pride Parade geplant. Die Drag Queens aus Skopje sind gespannt. „Dieses Land ist am Boden“, findet Tokio. “Wir führen diesen Kampf nicht nur für uns. Wir machen es für die ganze Gesellschaft.” Den nicht abschwellenden Applaus ihrer wachsenden Fangemeinde haben sie sich daher für ihren mutigen Kampf redlich verdient.

Queen Kaja auf der Bühne ©Haus of Fauché, used with permission

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