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What’s in a name? Februar 2019 Update aus (Nord-) Mazedonien

[Read the Update in English]

Vor einigen Wochen verlegte ich meinen Wohnort übergangsweise – wieder einmal – in die Republik Mazedonien, oder die „ehemals jugoslawische Republik Mazedonien“, wie das Land im allgemeinen internationalen Sprachgebrauch geführt wurde. In einigen Tagen packe ich meine Siebensachen und reise aus Nordmazedonien zurück in die EU. Habe ich zwischendrin das Land gewechselt? Natürlich nicht. Das Land hat jedoch seinen Namen verändert. Dem ging ein längerer diplomatischer Prozess voraus, bis die Namensänderung heute durch die Veröffentlichung im nationalen Amtsblatt offiziell wurde.

Richtig Fahrt aufgenommen hatte die Namensänderung, nachdem im griechischen Parlament Anfang Februar das s.g. Prespaabkommen angenommen wurde. Es folgte sofort die förmliche Einladung, alsbald Beitrittsverhandlungen mit der NATO zu beginnen. Bis zu diesem Moment hatte Griechenland die Mitgliedschaft Mazedoniens sowohl in der NATO als auch in der EU aufgrund eines Namenskonfliktes blockiert. Warum? Aufgrund der – lange zurückliegenden – gemeinsamen Geschichte der beiden südosteuropäischen Länder heißt auch eine nördliche Region Griechenlands Mazedonien und Griechenland hatte lange darauf bestanden, dass allein dieser Region der Name Mazedonien zustünde.

In Europa haben sich Grenzen – und Machtverhältnisse – ständig verschoben und das Pochen auf geographische Fakten hilft nicht unbedingt dabei, klare Verhältnisse zu schaffen. Menschen in Europa müssen verstehen, dass es in Grenzregionen immer ein geteiltes historisches Erbe und kollektive Erinnerungen geben wird. Dies sollte Anlass zu Kooperation und nicht zu nationalistischem Konflikt geben.

Der Blick in die Zukunft veranlasste griechische und mazedonische Politiker:innen zu Veränderung. Zügig, nachdem eine neue Regierung in Mazedonien 2017 ins Amt gekommen war, orientierte sie sich deutlich in Richtung Europa auf, zeigte sich kompromissbereit und begann Verhandlungen mit dem Partner im Süden. Im Juni 2018 unterschrieben Premiers und Außenminister beider Länder feierlich das Prespaabkommen, das die zukünftige Partnerschaft unter der Voraussetzung einer Namensänderung auf der mazedonischen Seite regelt. Im Laufe der kommenden Monate wurde dies im mazedonischen und im griechischen Parlament (knapp) angenommen. Am 6. Februar 2019 unterschrieben alle 29 Mitgliedsstaaten der NATO das Beitrittsprotokoll der „zukünftigen Republik Nordmazedonien“. Dieses Beitrittsprotokoll wurde im griechischen Parlament am 8. Februar ratifiziert. Mit der Veröffentlichung der konstitutionellen Namensänderung im Amtsblatt ist die Sache offiziell und der Mitgliedschaft zunächst in der NATO und anschließend in der EU steht nichts mehr im Wege. Oder?

What’s in a name?

In den vergangenen Wochen habe ich in Mazedonien nicht eine einzige Person getroffen, die voller Ungeduld den Tag herbeigesehnt hat, an dem sich der Name des Landes verändert. Ich habe niemanden getroffen, der oder die jetzt vor Freude Luftsprünge macht. „Juhu, Nordmazedonien, was ich mir immer gewünscht habe!“. Aber ich habe viele Menschen getroffen, die ungeduldig darauf gewartet haben, dass sich irgendetwas verändert und die Namensänderung ist ein wichtiger Anfang.

Auf der anderen Seite stehen die Unterstützer:innen der vorherigen Regierung, die den neuen Namen voll nationalistischer Leidenschaft ablehnen, weil sie darin ein Zeichen der Schwäche erkennen. Einige meiner mazedonischen Facebookfreunde tragen Banner über ihren Profilbildern: „Niemals Norden“. Russland, dessen offizielle Vertreter:innen in verschiedenen Zusammenhängen deutlich gemacht haben, dass sie sowohl einen neuen Namen, als auch jegliche Westintegration des Landes kategorisch ablehnen, bringt sich bereits in Stellung und sucht – erfolgreich – nach Einflussmöglichkeiten.

Einige Menschen vor Ort (und über mazedonische Landesgrenzen hinaus) blicken mit gerunzelter Stirn auf Griechenland und empfinden deren Verhalten als eine kindische Machtdemonstration, in der allein von mazedonischer Seite Zugeständnisse gemacht wurden. Es erscheint komisch, dass das Land einen neuen Namen annimmt und nicht die Region und dass nun ein Nordmazedonien ohne zugehöriges Südmazedonien in den Karten steht. Doch für viele ist es am Ende trotz allem nur ein Name, dessen Veränderung die kollektive Identität des Landes nicht angreift, dafür aber viele Türen öffnet. Dass hier auf mazedonischer Seite nationaler Stolz über Bord geworfen wurde, um sich stattdessen kompromissbereit auf einen Dialog einzulassen zeugt von einem realitätsnahen und zukunftsorientierten Politikstil. Vor allem Mazedonien wurde dafür berechtigterweise in der internationalen Presse mehrfach gelobt.

Ein stetiges Auf und Ab in Mazedonien

Im Jahr 2018 produzierte Mazedonien, immer zusammen mit medienwirksamen Fotos von erwartungsvoll und stolz lächelnden Herren im akkuraten Anzug, (endlich) die positiven Schlagzeilen aus Südosteuropa auf die die EU so lange gewartet hatte. Das Verhalten mazedonischer Politiker im Ausland zeigte deutlich, welchen Weg sie sich für ihr Land gewählt hatten. Für die vielen Bekenntnisse zu Europa wurde das Land direkt mit einer „glaubwürdigen EU Erweiterungspolitik“ belohnt. Doch wie gut stehen die Chancen des Landes, zeitnah Teil der EU zu werden?

Um das Land und die derzeitigen Entwicklungen im Kontext zu sehen, möchte ich einen kurzen Einblick in die mazedonische Politik der vergangenen Jahre geben. 2015 entlarvte eine Abhöraffäre die korrupten Machenschaften der damaligen Regierung unter Leitung der national-konservativen Partei VMRO-DPMNE in Koalition mit der Albanischen Partei DUI, was zu umfassenden Protesten im Land, vor allem aber in der Hauptstadt Skopje, führte. Die Oppositionspartei SDSM, die sich selbst mit dem Attribut sozialdemokratisch beschreibt, war federführender Teil der Protestbewegung. Bei den Wahlen im Dezember 2016 gewann zwar erneut VMRO-DPMNE, konnte aber diesmal keinen Koalitionspartner finden. Nach einigem Hin und Her – oder eher: nach wochenlangem Stillstand und wachsenden Spannungen, die sich letztendlich in einem gewaltvollen Angriff auf Oppositionspolitiker:innen und Medienvertreter:innen im Parlament entluden – kam eine neue Regierung (SDSM+DUI) ins Amt.

Diese neue Regierung war – aufgrund der gemeinsamen Proteste – sehr stark mit der Zivilbevölkerung verbunden und viele Gegner der vorherigen Regierung sahen ihre kühnsten Utopien Wirklichkeit werden. Die Schonzeit der neuen Regierung, in der alle Handlungen durch eine rosarote Brille beurteilt wurde, dauerte einige Monate, in der viele der vormals lautesten Kritiker:innen Teil der Regierung wurden. Dann dämmerte es vielen Menschen in Mazedonien, dass es mehr als einen Regierungswechsel braucht, um die politische Kultur einen Landes von Grund auf zu erneuern.

Mazedonien als der nächste EU-Zuwachs?

In diesen politisch sehr aufgewühlten Zeiten sprang die EU ein und schlug dem Europäischen Rat, in dem Staats- und Regierungschefs versammelt sind, vor, Mazedonien als potentiellen Beitrittskandidat in Erwägung zu ziehen. Um die (oft langwierigen) Beitrittsverhandlungen zu beginnen, muss ein Land zunächst eine Bewerbung bei der Europäischen Kommission  einreichen (das ist im Fall Mazedonien vor vielen Jahren geschehen). Die Kommission überprüft das Land anhand verschiedener Indikatoren und reicht eine Meinung – in diesem Fall die Empfehlung, Mazedonien als Beitrittskandidaten in Betracht zu ziehen und die Beitrittsverhandlungen zu beginnen – beim Europäischen Rat ein. Der Rat wiederum fällt ebenfalls eine Entscheidung – die in der ersten Jahreshälfte 2018 erwartet wird – und wenn sie positiv ausfällt, beginnen die Beitrittsverhandlungen, in denen ein Katalog mit 35 Kapiteln voller Konditionen abgearbeitet wird. Um vom europäischen Rat eine positive Einschätzung zu erhalten, hat die mazedonische Regierung die eigenen Reformprogramme gemäß der EU-Erwartungen in verschiedenen Plänen (erst dem Plan 3-6-9 und derzeit dem Plan 18) strukturiert. Der Reformprozess hält allerdings bisher nicht, was er anfänglich versprochen hat.

Verständliccherweise braucht es seine Zeit, um einen Staat von einer korruptierten politischen Kultur, informellen Verfahren und einem auf Vetternwirtschaft basierenden System zu befreien. Transparenz und ständiger Austausch sind hier essentiell. Da die neue Regierung so eng mit der Zivilbevölkerung verwoben war, erhofften sich viele eine tiefergehende Kooperation zwischen Regierung und unabhängigen Organisationen und Instituten. Das ist jedoch nicht der Fall und nach zwei Jahren beklagen Organisationen, Think Tanks und unabhängige Aktivist:innen den Mangel an Zusammenarbeit und Information. Darüber hinaus bezeugen verschiedene Studien einen besorgniserregenden Stand an fehlendem oder fälschlichem Wissen der Bevölkerung in Bezug auf die derzeitige Arbeit der Regierung. Im Parlament wurde die Tendenz beobachtet, verschiedene Vorschläge oder Gesetze mit einer „EU Flagge“ zu versehen, um sicherzustellen, dass sie durchgewunken werden. Derartige Verfahren verstärken das fehlende Vertrauen in die Regierung und spalten die Gesellschaft weiter.

Je größer die Hoffnung, desto größer die Enttäuschung

„Ich glaube nicht”, sagte eine Freundin gestern, „dass ich genau so enttäuscht von unseren Politiker:innen wäre, wenn wir noch immer die alte Regierung hätten. Aber ich habe wirklich auf die große Veränderung gehofft.“

Aus der Ferne ist es leicht, und berechtigt, die derzeitige Regierung des Landes zu loben. Eindeutig wurde in der ersten Hälfte ihrer Amtszeit hier ein Schwerpunkt auf lange überfällige bilaterale Versöhnung gelegt. Die Regierung ist außerdem in verschiedenen Bereichen viel progressiver als ihre Vorgänger. So wurde zum Beispiel im Jahr 2018 mazedonischen Frauen das selbstbestimmte Recht auf Abtreibung bis zur 12. Woche gewährt, bis zur 22. Woche ist es mit gewissen Auflagen ebenfalls erlaubt. Davon könnte sich Deutschland eine Scheibe abschneiden. Aber Menschen warten noch immer auf die große, transformative Veränderung der politischen Kultur und des allgemeinen Lebensstandards (Mazedonien ist eines der ärmsten Länder Europas). Die neue Gewohnheit der VMRO-DPMNE Opposition, entscheidende Sitzungen im Parlament zu boykottieren untermauert noch den Mangel an konstruktiver, kritischer Debatte und verstärkt die polarisierte Stimmung im Land.

Korruption und informelle Verfahren (z.B. im Bezug auf Wahlen oder die Zuteilung verschiedener Gelder) brechen nicht ab. Politiker:innen, die nachgewiesen Verbrechen begangen haben, genießen eine gewisse Straffreiheit, wie beispielsweise am Beispiel des ehemaligen Premiers Nikola Gruevski deutlich wird, der unkompliziert nach Ungarn fliehen konnte, und dort nun unter Asylschutz steht.

Um ein Land kern zu sanieren, braucht es außerdem die entsprechenden Handwerker:innen. Doch in diesem Land, wo so vieles Mangelware ist, fehlen auch gut ausgebildete Arbeitskräfte, die in öffentlichen Institutionen und der Administration arbeiten könnten. Ein anhaltender Brain Drain zieht die talentiertesten Menschen aus dem Land, Vetternwirtschaft und Klientelismus erschweren denjenigen, die bleiben, den Zugang zu attraktiven Jobs. Und selbst wenn weder Brain Drain, noch fehlende Kontakte den Weg zur Karriere versperren, wartet auf junge Menschen oft ein unterirdisch niedriges Einstiegsgehalt (bspw. 250€ im diplomatischen Dienst), das jegliche Unabhängigkeit unmöglich macht.

Wie stehen also die Chancen auf EU-Mitgliedschaft im Land? In den vergangenen zwei Jahren wurde wenig kritische Forschung zu der jetzigen Regierung veröffentlicht. Erstens, weil Wissenschaft immer seine Zeit bleibt; zweitens, weil in dem aufgeladenen, bipolaren politischen Klima im Land konstruktive Kritik kaum möglich ist und drittens, weil Kritik ein Tanz auf Eierschalen ist – niemand möchte für den nächsten Aufschrei verantwortlich sein. Dies führt dazu, dass es schwierig ist, die Gesamtsituation treffend einzuordnen. Denn trotz all der berechtigten Kritik zeigt die Regierung so viel Tatendrang wie lange nicht mehr und niemand möchte diesen entscheidenden Moment durch zu viel Druck von außen stören.

Doch Druck kommt so oder so. In diesem Jahr werden die Wahlen in der EU alle Institutionen ab Mai beschäftigen und von Südosteuropa ablenken. Im Idealfall fällt der Rat seine Entscheidung vor Mai. Dies bedeutet, dass die Regierung sich wirklich auf seinen Plan 18 und die darin versprochenen Reformen konzentrieren muss. Der Plan sieht gut aus – jetzt heißt es daumendrücken, dass die Regierung ihre Versprechen hält und einen transparenten, offenen Staatsapparat errichtet, der das Land in eine funktionierende, erfolgreiche Demokratie entwickelt, die den Herausforderungen und Ansprüchen einer EU-Mitgliedschaft gewachsen ist.


Das Coverbild zeigt ein Plakat aus der Kampagne rund um das Referendum in Mazedonien im vergangenen Jahr. „Ja zum europäischen Mazedonien“.

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2 Kommentare

  1. Toll geschrieben.

    1. Marie Jelenka Kirchner says:

      Vielen Dank!

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