Nach dem Abitur habe ich begonnen, die Welt zu erkunden. In Europa fing ich an und lebte und reiste in verschiedenen Ländern. Ich war dabei die meiste Zeit allein, aber eigentlich auch nicht, denn meine Mutter war im Fall des Falles immer erreichbar und stand seelsorgend oder mit Kreditkarte zur Verfügung.
Irgendwann ist man dafür aber einfach zu alt (soll heißen, man kommt in das Alter, wo man der Mutter nicht mehr abverlangen möchte, permanent parat zu stehen). Ich sah also ein, meine Herausforderungen selbst zu meistern. Und genau das tue ich seitdem.Alleine zu reisen ist unglaublich bereichernd – aber ohne das nötige Selbstvertrauen und Mut kann es schnell zu einem Horrortrip werden. Das Schöne ist aber auch, dass man gerade durch die kleineren und größeren Herausforderungen lernt, sich zurechtzufinden. Hier also ein kleiner Ritt durch die vergangenen Jahre und die Herausforderungen, die ich bewältigt habe.
- Plötzlich allein, obwohl das gar nicht geplant war
Meine erste große Asienrundreise (Japan – Hong Kong – Taiwan) war nicht geplant. Geplant war ein mehrmonatiger Aufenthalt in Japan, um mit meinem damaligen Freund in Kanazawa zu leben, wo er ein Jahr als Englischlehrer arbeitete. Relativ schnell nach meiner Ankunft zeichnete sich ab, dass wir verschiedene Vorstellungen von dieser Beziehung hatten und nach einem guten Monat in Japan ging die Beziehung halb-dramatisch in die Brüche. Es war Januar, im kaltnassen Kanazawa hielt mich nichts, doch auch die Aussicht auf einen einsamen Winter daheim war nicht sehr verlockend. Drei Tage verkroch ich mich wie eine angefahrene Katze in einem Hotel, ehe ich beschloss, erst einmal eine Reise zu machen und dann weiterzusehen. So kam ich nach Taiwan, denn nach Taipeh fand ich den billigsten Flug. Diese Reise war, wie man so sagt, life changing. Ich blieb eine Woche, in der ich Freundschaften schloss, Chinesisches Neujahr feierte und eine tiefe Leidenschaft für Taiwan entwickelte. Im Anschluss reiste ich nach Okinawa wo mein Rückflug aufgrund eines Schneesturms in Osaka gecancelt wurde. Ohne Rückflug schlenderte ich durch die Stadt, stieß auf einen „Flashmob for Peace“, sprach die Tänzerinnen und Tänzer an und ehe ich mich versah, war ich umgeben von jungen Menschen in einer Bar – und dann auf einem mehrtägigen Roudtrip rund um die tropische Insel. Danach hielt mich nichts mehr in Japan und über einen Schlenker nach Hong Kong kehrte ich zurück nach Taiwan, wo ich eigentlich in einem Hostel gegen Logis arbeiten wollte – dann aber die Zweitwohnung einer neuen Bekannten gegen die Elektrizitätskosten angeboten bekam. Wenn ich zurückblicke, dann ist es diese Trennung und die anschließende Reise, die mir immer wieder versichert, dass ich alle Herausforderungen meistern kann. Am schwierigsten war hier der Mut, nicht einfach verletzt und mit gebrochenem Herzen nach Deutschland zurück zu fahren, sondern mich in die Fremde und in ein Abenteuer zu schmeißen.
- Die Kreditkarte funktioniert nicht
Wenn ich darüber nachdenke, stand ich bereits erstaunlich oft ohne Geld bzw. ohne Zugang zu Geld da. Mal funktionierte meine Kreditkarte nicht oder ich hatte vergeigt, Bargeld (Dollar oder Euro) mitzunehmen. Einmal wurde mein Portmonee gestohlen. In allen diesen Situationen sprangen andere Reisende ein. Einmal teilte ich mir beispielsweise ein Taxi vom Flughafen ins Stadtzentrum mit einem Pärchen, wo ich dann einen Geldautomat fand, der meine Kreditkarte akzeptierte. Ein anderes Mal überwies ich einem anderen europäischen Reisenden Geld auf sein Konto, das er mir dann abhob. Einmal lieh mir ein völlig Fremder 100€, als es schon fast so aussah, als wenn ich auf der Straße schlafen müsste. Zugegebenermaßen würde ich selbst nicht jedem oder jeder große Summen von Geld leihen oder meine Kontodaten anvertrauen (PayPal ist eine gute Alternative!), doch je länger ich reise, desto besser wird auch das Gespür dafür, wem ich vertrauen kann – und wem besser nicht. Und im Zweifelsfall kann man mit Western Union im Handumdrehen Geld um die ganze Welt schicken. Wichtig ist dabei nur (und sowieso), Geld und Pass niemals am gleichen Ort aufzuheben, denn um (über Western Union) sein Geld zu empfangen, braucht es den Reisepass.
- Kein Hostel
Letztendlich ist das a und o beim Solo Travelling, dass man nicht davor zurückscheut, im Fall des Falles Fremde anzusprechen. Es kann zu tollen Erfahrungen führen (siehe Roadtrip auf Okinawa), manchmal ist es essentiell, um nicht auf der Straße zu schlafen. Ich stand zuletzt in Schweden vor verschlossenen Türen eines Hostels – nachts um eins. Ich machte mir meine Menschenkenntnis und Mut zunutze, und sprach ein junges Pärchen an, das mit einer Gruppe Freund*innen unterwegs war – und sie nahmen mich auf. Hier ist aber natürlich Vorsicht gefragt – in vielen Ländern empfiehlt es sich nicht, junge Männer um einen Schlafplatz zu bitten, da es schnell als eindeutiges Angebot empfunden wird. Am besten fragt man Menschen, die selbst aussehen, als wenn sie schon auf Reisen waren – und denen Couchsurfing kein Fremdwort ist.
- Umgeben von Creeps
Ich bin eine abenteuerfreudige, und dennoch umsichtige Reisende und ich bin bisher noch nie in wirklich gefährliche Situationen gekommen. Dazu gehört auch, dass ich in abgelegenen Regionen lieber mit Anbruch der Dunkelheit schlafen gehe (und wenn das um sieben ist) und dafür lieber ab Sonnenaufgang wieder auf den Beinen bin, auch wenn mir dafür vielleicht der Zauber der Nacht entgeht. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht von Zeit zu Zeit in Situationen wiedergefunden habe, in denen ich mich unwohl gefühlt habe.
Ein Beispiel ist eine Reise nach Vietnam. Bei einem Couchsurfingtreffen hatte ich einen jungen Studenten kennengelernt, mit dem ich mich gut verstand und schließlich einen Ausflug ins Mekong-Delta plante. Der Tag war wirklich prima und ich konnte ungeahnte Einblicke in die Gedanken- und Sorgenwelt eines jungen Vietnamesen erhalten. Abends, als wir jeder auf dem eigenen Bett schon beinahe schliefen, begann er plötzlich eine außerordentlich kuriose Konversation über die westliche Kultur, in der er vor allem wissen wollte, ob alles, was Hollywoodfilme zeigten der Wahrheit entspräche. Irgendwann ging es so weit, dass er über die biologischen Unterschiede zwischen Asiaten und Weißen sprach und mit einer unglaublichen Ernsthaftigkeit allerhand Fragen stellte, viele davon zum Thema Beziehung, Liebe – und Sex. Als ich ihm einen Riegel vorschob, bat er mich, ob er mit mir schlafen könne, denn er glaube nicht, dass er so schnell noch einmal die Gelegenheit dazu [Sex mit einer Weißen] habe.“ Ich fühlte mich in diesem Moment nicht gefährdet – auch weil ihm das Ganze unglaublich unangenehm war – aber besonders wohl war mir auch nicht, und ich skypte mit drei Freunden, ehe ich mich schlafen legte. Am nächsten Morgen nahm ich den ersten Bus zurück nach Saigon, wo sich noch ein Reisebekannter aufhielt. Bei ihm hatte ich meine Nummer und eine ungefähre Route hinterlegt. Bei jedem Ausflug – vor allem solche, bei denen ich mit bis dato Fremden auf Tour gehe – stehe ich im losen Kontakt (morgens/abends ein Lebenszeichen) mit Menschen vor Ort, die ich zuvor kennengelernt habe. So habe ich immer ein loses Safety Netz, ohne aber permanent in die Heimat kommunizieren zu müssen, was ich gerade wie wo mache. Better safe than sorry!
- Gestrandet
Selbst wenn ich ohne feste Route reise, habe ich dennoch eigentlich immer einen losen Plan. Ich vermeide es, Dinge auf den letzten Drücker zu machen und den letzten Bus zu nehmen, weil ich aus Erfahrung weiß, dass dieser letzte Bus im Zweifelsfall eher nicht fährt. Trotzdem ist es auch mir schon das ein oder andere Mal passiert, dass Plan A nicht funktioniert hat und ich ohne Plan B gestrandet bin. In solchen Fällen ist meine erste Handlung, nach Internet zu suchen. Die Welt außerhalb von Deutschland ist erstaunlich gut mit WLAN-Hotspots ausgestattet, alternativ hilft wieder das Gespräch mit Fremden – und die Bitte nach einem Hotspot. Die einfachste Möglichkeit ist oft, einfach vor Ort zu bleiben und irgendwo unterzukommen. Manchmal steht das aber nicht zur Debatte. Ich hatte, als ich vor zwei Jahren im Kosovo gestrandet war und unbedingt noch an diesem Tag nach Montenegro musste, das Glück über Couchsurfing einen unglaublich hilfsbereiten Host zu finden, der mich über verschiedene Bergstädtchen im Osten Montenegros nach Podgorica lotste. Beinahe hätte ich meinen Anschlussbus nach Podgorica verpasst – doch der Busfahrer überholte den Anschlussbus in einem waghalsigen Manöver, um ihn zum Stoppen zu bewegen – so musste ich nicht den letzten Teil trampen, was ich nicht ausgeschlossen hätte, aber doch eher ungern machen wollte.
- Es funktioniert einfach nichts
Long Story short – die Kunst des Herausforderungen-Meistern liegt in der Kommunikation. Noch nie wurde ich blöd angemacht, weil ich jemanden ansprach. Wenn man mich fragt, wo mir die meiste Hilfsbereitschaft begegnet ist, dann tue ich mich schwer mit meinem Urteil, denn der einzige Unterschied zwischen Ländern liegt – so habe ich es erlebt – oft darin, ob Menschen von sich aus ihre Unterstützung anbieten, wenn man nur überzeugend verloren aussieht, oder ob man aktiv um Hilfe bitten muss.
Manchmal gibt es aber auch Momente, in denen der Gedanke, mit Fremden zu sprechen, der größte Alptraum ist. Ich hatte auf jeder längeren Reise zu einem gewissen Zeitpunkt (meistens war ich prämenstruell) genug vom Reisen, es funktionierte einfach nichts mehr und ich konnte nur noch heulen. Ich konnte einfach kein Essen finden, das mich anspricht, starb aber bald vor Hunger. Das Gewicht meines Gepäcks habe ich in solchen Momenten nie stärker gespürt und die Fremde hat nichts Aufregendes. Meistens hilft dann nur eine gute Mütze Schlaf. Glücklicherweise schaffe ich es inzwischen, all die oben beschriebenen Herausforderungen zu klären – und danach erst völlig erschöpft zusammenzubrechen. So war es auch bei meiner Ankunft in Vietnam vor einigen Jahren. Nachdem ich jemanden gefunden hatte, der mir Geld vorstreckte, es vom Flughafen in die Stadt geschafft und dort im dritten Hostel ein Zimmer gefunden und mich mit meinem Rucksack in den vierten Stock – schmale Wendeltreppe – gequält hatte, war ich zu 100% bereit, meine Reise sofort wieder abzubrechen.
Im Zimmer wurde ich von freudigen Rufen begrüßt – obwohl ich doch nur Ruhe wollte. Doch es stellte sich heraus, dass dort eine deutsche Bekannte von mir – gerade am Ende ihre Vietnamreise – untergekommen war und mich erst einmal in den Arm nahm. Wenn ich seitdem irgendwo gestrandet und mit den Nerven völlig am Ende bin, dann erinnere ich mich gerne daran, weil nichts besser zeigt, dass am Ende des Tages das Glück auf der Seite der weltoffenen, respektvollen und mutigen Reisenden ist.